Patchwork – klingt verflixt … und ist es manchmal

Familienglück oder Chaos pur? Wer Patchwork lebt, muss viele Klippen meistern. „Patchworkfamilie“ – das ist der moderne Begriff für das, was einstmals als Stieffamilie bezeichnet wurde. Ca. 7-13% der Familien können als Patchworkfamilien bezeichnet werden.

Patchworkfamilien existieren in unterschiedlichsten Varianten. In manchen Fällen bringt nur einer der neuen Partner Kinder aus einer früheren Beziehung in die neue Familie ein, manchmal bringen aber auch beide Partner Kinder mit. Zum Teil leben die Kinder aus früheren Beziehungen zeitweilig, hauptsächlich oder ganz bei der früheren Partnerin oder dem früheren Partner, also dem anderen leiblichen Elternteil, in machen Fällen kommen die Kinder übers Wochenende – und sollen sich nicht nur als Besuch fühlen, sondern als Teile der neuen Familie, Oft kommen auch noch gemeinsame Kinder aus der Beziehung der neuen Partner hinzu. Alles ist denkbar und insofern unterscheidet sich jede Patchworkfamilie von der nächsten.

Obwohl also Patchworkfamilien immer häufiger vorkommen, steht es oft schlecht um das Wissen der Betroffenen, wie eine solche familiäre Konstellation gut gelebt werden kannt. Klar, es existieren Ratgeber, und einige davon enthalten wirklich wertvolle Tipps. Vielfach scheitert es aber an einer anderen Stelle: Patchworkfamilien haben nämlich eine andere innere Ordnung. Während sich die Partner in einer Familie, in der beide Partner zugleich Eltern ihrer Kinder sind, zuerst gefunden haben, ist es in Patchworkfamilien genau umgekehrt: In eine solche Konstellation treten Partner ein, die Gefühle füreinander entwickelt haben. Sie bringen ihre Kinder mit, die sich aber nicht für den neuen Partner oder die neue Partnerin entschieden haben. Oft ist es sogar so, dass sich der oder die „Neue“ mit Affekten konfrontiert sieht, die gar nicht originär in dessen Verhalten begründet sind, sondern aus der Trennungsgeschichte der eigenen Eltern herrühren.

In einer Patchworkfamilie ist die Liebe zwischen den Partnern häufig größer, als die Fähigkeit, die besondere Situation der Patchworkfamilie richtig einzuordnen. Die Ansprüche, alles richtig – und vielleicht sogar besser als beim letzten Mal zu machen sind hoch, Und oftmals sind die Verletzungen und vielleicht sogar Traumata aus vorangegangenen Beziehungen noch nicht richtig verheilt – es gibt wunde Punkte, die sich aus der Vergangenheit erklären und in der Tiefe der Verletzung für die neue Partnerin oder den Partner und dessen bzw. deren Kinder oft nicht ohne weiteres nachvollziehbar sind.

Neuer Partner als „Mutter- oder Vaterersatz“? Unausgesprochen und manchmal auch unbewusst ist es so, dass die Partner oft fest davon ausgehen, ihre eigenen Kinder würden den neuen Partner oder die neue Partnerin und deren bzw. dessen Kinder mit offenen Armen empfangen. Dem ist aber oft ganz und gar nicht so – im Gegenteil: Der oder die „Neue“ wird verantwortlich dafür gemacht, das die „wirkichen Eltern“ nicht mehr zusammen sind und sich oftmals auch überhaupt nicht mehr verstehen. Der oder die Neue hat möglicherweise Ansprüche, die als fremd oder vermessen betrachtet werden. Es gibt neue Familienrituale, die den Kindern und oft auch dem neuen Partner als aufgesetzt erscheinen. Egal ob (unreflektierte) Selbsterwartung des neuen Partners oder Erwartung  seines neuen Gegenübers: Im Unterschied zur herkömmlichen Familie ist dieser Elterndienst eher ein Liebesdienst am neuen Partner als einer für die Kinder. Das gilt oft auch dann, wenn es sich ganz anders anfühlt. Häufig wird vom neuen Partner oder der neuen Partnerin gar erwartet, dieselbe Verpflichtung den neuen Kindern gegenüber zu empfinden wie man selbst. Und die Verbundenheit soll gar der entsprechen, die er oder sie gegenüber den eigenen Kindern empfindet. Oft gibt es die heimliche oder offen geäußerte Erwartung, der neue Partner oder die neue Partnerin möge die Aufmerksamkeit für die Kinder entwickeln, die man bei dem Partner vermisste, von dem man sich getrennt hat. Dass dies eine Überforderung des neuen Lebensgefährten darstellt, erschließt sich oft erst, wenn ich die Situation aus den Augen des anderen betrachte. Und selbst dann gilt, dass es hier schnell zu einer ungewollten Konfusion in den Zuständigkeiten kommen kann, die neue Probleme mit sich bringt. Sie merken: Viel Raum für Mißverständnissse und daraus entstehende Auseinandersetzuungen, mindestens aber das Gefühl des Nicht-Verstandenseins.

Wir meinen: In einer Patchworkfamilie kommen immer die Kinder nicht automatisch immer zuerst. Aber sie haben das Recht auf eine eigene Sicht der Dinge, die einen bewußten Perspektivwechsel der neuen Partner erfordert. Beginnt einer der beiden Partner die Kinder des anderen zu kritisieren, ist dies häufig Grundlage für einen ausgewachsenen Streit. Soll die Liebe gelingen, muss sich der neue Partner manchmal sogar hinten anstellen.Auch, wenn es weh tut und so gar nicht zu den Wünschen und Träumen passt, die die neue Partnerschaft begründet haben.

Nichts gilt ohne explizite Absprache: Darf der oder die „Neue“ sich wie ein neues Elternteil gebärden? Darf er oder sie elterliche Ratschläge oder gar Weisungen aussprechen? Schließlich soll ja so etwas wie Regelgleichheit für die eigenen wie die Kinder des neuen Partners gelten. Aber Vorsicht: Selbstverständlich ist das alles nicht – es verlangt nach Klärung, auf die sich alle Beteiligten auch einlassen müssen. Manchmal ist die Rebellion gegen scheinbar einvernehmlich erfolgte Klärungen nichts anderes als die Loyalität zur alten Herkunftsfamilie.

In einer Patchworkfamilie leben zwei Partner beisammen, die eine Lebensgeschichte hinter sich haben. Nur unter Anerkennung der Lebensgeschichte des anderen und der daraus resultierenden Empfindlichkeiten kann das Patchworkfamilien-Paar sein Glück gemeinsam mit den Kindern des Anderen erhalten.Zunächbst aber gilt die hohe Kunst der Nichteinmischung. Oft ist es nicht nur einfach reiner Pragmatismus, die Vereinbarung zu treffen, dass die Erziehung der Kinder des Partners oder der Partnerin grundsätzlich dessen bzw. deren Aufgabe ist. Bemühen Sie sich eine vertrauensvolle und tiefe Beziehung zu ihrer neuen Partnerin/ihrem neuen Partner herzustellen und solange zu warten, bis sie/er um Rat und Unterstützung bei der Kindererziehung bittet.

Patchworkfamilien haben eine andere innere Ordnung als solche Familien, in denen die Partner gleichzeitig Eltern sind.

Literatur zum Thema:

Petermann, Susanne: Du hast mir gar nichts zu sagen!: Stiefmutter sein ist nichts für Feiglinge.Broschiert: 240 Seiten,Verlag: Diana Verlag (20. April 2015), ISBN-13: 978-3453285422

Inga Bethke-Brenken und Günter Brenken: Mut zur Patchwork-Familie: So gelingt das neue Miteinander. Taschenbuch: 167 Seiten. Ernst Reinhardt Verlag. ISBN:  978-3497022274

Claudia Starke, Thomas Hess, Nadja Belviso: Das PatchworkBuch: Wie zwei Familien zusammenwachsen Taschenbuch: 345 Seiten. Beltz, ISBN: 978-3407858399